Deutschlands schlimmste Stürme

Wenn Ihnen vor der Tür mal wieder alles um die Ohren fliegt, der Wind sogar den Schirm aus Ihren Händen reißt und Sie schließlich klitschnass im Regen stehen, dann ist meist der Nordatlantik schuld. Warum gerade der Nordatlantik? Der Nordatlantik wird in Fachkreisen auch die Wetterküche Europas genannt. Hier trifft die feucht-warme Luft des Azorenhochs aus dem Süden auf kalte und trockene Luft der Polarfront aus dem Norden. Und was passiert wenn kalte und warme Luft aufeinandertreffen? Es brodelt gewaltig in der Wetterküche.

Wie entsteht ein Sturm?

Um doch ein bisschen konkreter zu werden, lassen Sie uns gemeinsam einen kurzen Exkurs in die Meteorologie machen. Zurück zum Start: Kalte und warme Luft können sich nicht so einfach vermischen. Das liegt daran, dass warme Luft eine geringe Dichte als kalte Luft hat. Wenn die beiden Luftmassen also aufeinandertreffen, steigt die warme Luft entlang der Kaltfront auf. Vorsicht: jetzt kommt auch noch Physik ins Spiel! Bei diesem Prozess wirkt die sogenannte Corioliskraft. Diese Trägheitskraft wirkt aufgrund der Erdrotation und lenkt jede bewegte Masse auf unserem Planeten quer zu ihrer jeweiligen Bewegungsrichtung ab. Die Luftmassen fangen an zu zirkulieren und ein Wirbelsturm entsteht. Wenn Luftmassen aus Nord und Süd über dem Nordatlantik aufeinanderprallen, bekommen sie dank der Corioliskraft einen Schubs in Richtung Europa verpasst. Dabei gilt: je größer die Temperaturunterschiede zwischen den Fronten sind, desto schneller weht der Wind. Ab anhaltenden Windgeschwindigkeiten von mehr als 117 Stundenkilometern sprechen wir dann nicht mehr von einem Sturm, sondern von einem Orkan.

Solchen Orkane haben auch Deutschland in der Vergangenheit immer wieder heimgesucht. Zuletzt hat uns Sturmtief „Xavier“ so richtig durchgeschüttelt, doch mit Windgeschwindigkeiten um 100 km/h war „Xavier“ lediglich ein schwerer Sturm und kein Orkan. Stürme werden entsprechend der gemessenen Windgeschwindigkeiten anhand der Beaufortskala eingeordnet. Vereinzelte Starkwindböen mit bis zu 136 km/h haben allerdings ausgereicht, um deutschlandweit Schäden im mehrstelligen Millionenbereich anzurichten.

Wenn ein Sturm einmal Orkanstärke erreicht, dann sind seine Auswirkungen meist so verheerend, dass sie den Betroffenen auch noch Jahrzehnte später im Gedächtnis bleiben. Lassen Sie uns gemeinsam einen Blick auf die verheerendsten Stürme der letzten 30 Jahre werfen:

Orkansaison 1990 (Januar bis März)

Das Frühjahr 1990 ist vielen Deutschen, die es selbst miterlebt haben, als wahre Sturmsaison im Gedächtnis geblieben. Von Januar bis März ziehen acht schwere Stürme, teilweise mit Orkanstärke, über Deutschland und Westeuropa. Orkan „Daria“ bis hin zu „Vivian“ und „Wiebke“ verursachen innerhalb weniger Wochen europaweit Schäden in Höhe von 3,8 Milliarden Euro. Eine solche Serie schwerer Stürme ist bis heute einmalig in der Geschichte der Wetteraufzeichnungen. Zu erwähnen ist, dass der Winter 1989/90 zu den mildesten des 20. Jahrhunderts gehörte. Während dieser Sturmsaison bilden sich sogar vermehrt Tornados über Westeuropa, darunter auch Norddeutschland. Insgesamt 200 Menschen kommen ums Leben.

Orkan Lothar (26. Dezember 1999)

„Jahrhundertsturm“, „Vater der Winterstürme“ und „Vorbote des Klimawandels“ – Orkan Lothar hat seit seinem zerstörerischen Wüten am zweiten Weihnachtsfeiertag 1999 viele Namen erhalten. Und mit Windgeschwindigkeiten von 151 Stundenkilometern sowie Spitzenböen bis zu 259 km/h auf dem Wendelstein hat er diese Namen wohl auch verdient. Als die Messstationen im Schwarzwald erstmals in der Geschichte 200 km/h Windgeschwindigkeit registrieren, fallen kurz darauf die Instrumente aus. Hausdächer, Autos und Stromleitungen werden zum Spielball der Naturgewalten. Lothar zieht eine 300 Kilometer breite Schneise der Verwüstung über Deutschland und Europa. 110 Tote, 17 davon in Deutschland, sind nach dem Orkan zu beklagen. Die Versicherungswirtschaft schätzt den volkswirtschaftlichen Schaden auf mehr als elf Milliarden Euro. Wetterdienste geraten in die Kritik, weil kein einziger den Sturm und die Zugbahn in seinem tatsächlichen Ausmaß vorhersagen konnte. Spätere Untersuchungen zeigen jedoch keine Fehler der Wetterexperten und führen die Willkürlichkeit und rasante Entstehung von solchen Extremwetterphänomenen vor Augen.

Die schwersten Schäden sind zum Teil bis heute in den Wäldern Europas sichtbar. Im Schwarzwald können Besucher von einem 800 Meter langen Lehr- und Erlebnispfad die Auswirkungen des Sturms auf ein zehn Hektar großes Areal begutachten. Das Gebiet wurde bis heute nicht wieder von Menschenhand aufgeforstet, sondern sich selbst überlassen. Der Weg führt über und unter umgestürzten Bäumen entlang. Europaweit hatte Lothar 200 Millionen Meter Festholz in den Wäldern umgerissen.

Orkan Kyrill (18./19. Januar 2007)

„Der Erbe Lothars“ fegt acht Jahre später über Deutschland hinweg. Europaweit kostet Kyrill 47 Menschen das Leben, 13 davon kommen in Deutschland zu Tode. Spitzenböen des Orkans erreichen Windgeschwindigkeiten von 225 Stundenkilometern. In NRW muss die Deutsche Bahn erstmals in ihrer Unternehmensgeschichte sämtlichen Schienenverkehr einstellen. Auch Flüge und Schiffsverbindungen fallen in weiten Teilen Europas aus. In vielen Gebieten Deutschlands wird es für längere Zeit dunkel. Orkan Kyrill fällt mehr als 500 Leitungsmasten des Stromnetzes. Die Straßen sind im wahrsten Sinne des Wortes leergefegt, das öffentliche Leben wird für die Zeit des Sturms ausgesetzt.

Die Schadenbilanz des bis heute teuersten Sturms in Deutschland: 1,7 Millionen beschädigte Häuser, 5,5 Milliarden Euro Schaden allein in der Bundesrepublik. Erneut sind die deutschen Wälder am schwersten betroffen. Rund 37 Millionen Meter Festholz fallen dem Sturm in Deutschland zum Opfer. Kyrill hinterlässt tausende Hektar Kahlflächen und gelichteten Wald. Allein in Nordrhein-Westfalen fallen dem Orkan 25 Millionen Bäume zum Opfer, das entspricht der Holzernte von drei Jahren. Acht Menschen sterben bei den Aufräumarbeiten im Forst, als unter Spannung stehende, teilweise umgeknickte Bäume sich unkontrolliert lösen. Mehr als 800 Menschen verletzten sich bei diesen Arbeiten.

Sowohl Lothar als auch Kyrill sind Wendepunkt für die deutsche Forstwirtschaft. Es folgt eine Abkehr von Monokulturen mit flachwurzelnden Nadelbäumen zurück zu mehr Mischwäldern. In NRW stehen auf den von Kyrill zerstörten Flächen heute 47 Prozent Laubbäume, vor dem Sturm waren es lediglich sieben Prozent. Baumarten wie Eiche, Buche und Weißtanne sollen sowohl heißen Sommern als auch Orkanen besser widerstehen können.

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Quellen / Anmerkungen

Orkan Lothar: Wetter extrem
Sturmserie 1990: Kachelmannwetter
Wie entstehen Winterstürme: Planet Wissen
Orkan Kyrill: Landschaftsverband Westfalen-Lippe
Orkan Kyrill (Multimedia): WDR Reportage
Winterstürme: Naturgewalten.de