Seit über zehn Jahren zeichnet das politische Verhalten des Sigmar Gabriel das Bild einer gespaltenen Persönlich. Ist unser ehemaliger Umwelt-, zwischenzeitlicher Wirtschafts- und aktueller Außenminister nun ein glühender Verfechter des Umweltschutzes oder doch nur eine Spielfigur der deutschen Lobbyisten und Gewerkschafter. Jüngst hat sich Gabriel mit folgenden Worten an die Presse gewandt:

„Wir müssen zeigen, dass Klimaschutz und wirtschaftlicher Erfolg keine Gegensätze sind. Nur wenn wir unter Beweis stellen, dass eine anspruchsvolle Klimapolitik nicht dazu führt, dass Arbeitsplätze und industrieller Erfolg darunter leiden, werden uns andere Länder folgen.“

Gerichtet sind diese Worte natürlich in Richtung CDU/CSU, FDP und Grüne, welche sich gerade in den Koalitionsverhandlungen für eine mögliche Jamaika-Regierung auf Bundesebene befinden. Eines der größten Streitthemen hierbei: die Abschaffung der Kohleverstromung in Deutschland. Gegen den Kohleausstieg spreche laut CSU und FDP unter anderem die Versorgungssicherheit im deutschen Stromnetz. Ein Argument, das nun sogar vom Wirtschaftsministerium und der Bundesnetzagentur entkräftet wurde. Nach neuesten Analysen hätte ein Großteil der deutschen Kohlekraftwerke eine belastende Wirkung auf das Netz. Demnach hätte die Stilllegung von Kohlekraftwerken mit einer Kapazität von bis zu sieben Gigawatt keine Auswirkungen auf die Versorgungssicherheit im Inland. Das dürfte frischen Wind in die zähen Koalitionsverhandlungen bringen, in denen die Positionen von CDU/CSU und FDP (maximale Reduzierung um fünf Gigawatt) und Grünen (Forderung von acht bis zehn Gigawatt) bislang verhärtet waren. Nebenbei scheint die Veröffentlichung auch im Wirtschaftsministerium selber für einige Aufregung gesorgt zu haben. Kurz nach Veröffentlichung distanzierte sich eine Ministeriumssprecherin: Das Papier sei nicht mit der Hausleitung abgesprochen gewesen. Schön, dass diese wichtigen Informationen dennoch ihren Weg an die Öffentlichkeit gefunden haben.

Kohlekraftwerke sind in Deutschland für rund ein Drittel des landesweiten CO2-Ausstoßes verantwortlich. Einige der älteren Braunkohlemeiler von Vattenfall und RWE gehören zu den schlimmsten Klimakillern überhaupt in Europa und produzieren alleine so viel CO2-Ausstoß wie ganze Staaten (z.B. Slowenien). Seit dem Atomausstieg läuft die billige Kohleverstromung in Deutschland auf Hochtouren. Für die deutsche Klimabilanz ein Supergau. In diesem Jahr gab Umweltministerin Barbara Hendricks bekannt: „Wir werden die Klimaziele 2020 dramatischer verfehlen als angenommen.“ Statt den CO2-Ausstoß von 1990 bis 2020 um 40 Prozent zu reduzieren, würde die Bundesrepublik bestenfalls eine Reduktion um 32 Prozent einhalten können. Die Vorreiterrolle in puncto Klimaschutz scheint dahin.

Bundesaußenminister Sigmar GabrielZurück zu Sigmar Gabriel, der seine ganz eigene Geschichte mit der deutschen Kohleindustrie hat. Im Rahmen des Klimaaktionsplanes hatte die Bundesregierung bereits 2014 versucht, die fossile Energiewirtschaft mit CO2-Preisen langsam aus dem Markt zu drängen. Unter dem Druck von Lobbyisten und der Kohle-Bundesländer Brandenburg und Nordrhein-Westfalen war Gabriel als damaliger Wirtschafts- und Energieminister aber eingeknickt und der Bund konnte nur geringe Einschränkungen für Kohlekraftwerke durchsetzen. Dabei hatte sich Gabriel in seiner Amtszeit als Umweltminister noch öffentlichkeitswirksam gemeinsam mit der Kanzlerin vor den schwindenden Eismassen der Arktis fotografieren lassen und stets für eine ökologische Industriepolitik geworben.

Seine persönliche Niederlage gegen die Kohlelobby scheint Gabriel bis heute in den Knochen zu stecken. Bereits im November vergangenen Jahres hatte er in letzter Minute vor der Weltklimakonferenz in Marrakesch, wohlgemerkt gemeinsam mit der Bundeskanzlerin, sein Veto gegen den bis dahin festgezurrten deutschen Klimaschutzplan eingelegt. Zu groß wären die Restriktionen für die deutsche Wirtschaft gewesen, man befürchte den massiven Verlust von Arbeitsplätzen in der Energiewirtschaft, so die damalige Begründung. Mittlerweile hat Gabriel als Außenminister keinen offiziellen Einfluss mehr auf die deutsche Klimapolitik, doch als einer der aktuell renommiertesten deutschen Politiker und durch seine Amtszeiten als Umwelt- sowie zuletzt als Energie- und Wirtschaftsminister, schenken Öffentlichkeit und Politik seinen Worten noch immer Gehör.

In diesem Fall leider mit fatalen Folgen für den Klimaschutz. Denn so nobel wie die Mahnung des ehemaligen SPD-Chefs auch klingen mag, im Grunde sagt sie vor allem eines aus: Bei allen Klimaambitionen Deutschlands haben selbst die mächtigsten Personen des Landes noch immer nicht die Bedrohung durch den bevorstehenden Klimawandel verinnerlicht. Michael Bauchmüller, Hauptstadtkorrespondent der Süddeutschen Zeitung für Energie und Umwelt, schrieb zu Gabriels schützender Hand über der Kohleindustrie: „Das jüngste Hickhack blamiert nicht nur die Bundesrepublik auf dem Parkett der Klimadiplomatie, das wäre noch zu verschmerzen. Schlimmer sind die Signale, die Gabriel an die Industrie sendet: Vergesst den Klimaschutz! Wenn es hart auf hart kommt, zählt die Wirtschaft mehr als Kohlendioxid.

Laut neuesten Informationen der UNO wird die Erdtemperatur bis Ende des Jahrhunderts um mindestens drei Grad steigen. Wohlgemerkt bei Einhaltung aller bislang vorgelegten Klimaschutzziele. Eine Studie der Bundestagsfraktion der Grünen und Zahlen des Bundesumweltamtes haben im Oktober 2017 bestätigt, was viele Klimaexperten bereits befürchtet hatten: Ein Rückgang der Treibhausgasemissionen findet derzeit in Deutschland nicht statt. Im Gegenteil, der Ausstoß hat in jüngster Vergangenheit wieder zugenommen. Mitverantwortlich dafür ist unzweifelhaft die Energieindustrie. Eine Verschärfung der Klimaschutzmaßnahmen müsste also außer Frage stehen, ganz gleich ob sie in erster Instanz Arbeitsplätze kosten wird oder nicht. Denn die alternativen Folgen werden um ein Vielfaches mehr kosten – nicht nur Arbeitsplätze sondern Leben auf der ganzen Welt.


Zum Thema Kohle als Energieträger gibt es ebenfalls einen sehenswerten Beitrag von John Oliver aus „Last Week Tonight“ vom Juni dieses Jahres:
 

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