Alle Jahre wieder hoffen die Deutschen auf weiße Weihnachten. Wenn sich die Familie an Heiligabend um den festlich geschmückten Tannenbaum versammelt, dann soll draußen gefälligst Schnee liegen. So ist es in Filmen und Werbung ja schließlich auch. Was soll ich Ihnen sagen? Die Geschichte einer weißen Weihnacht ist sehr wahrscheinlich nicht der einzige Mythos, der uns in jahrelanger Konditionierung ins Gedächtnis gepflanzt wurde.

Denn die Realität an den Weihnachtsfeiertagen sieht in der Regel anders aus: Temperaturen deutlich über null Grad, zumeist Regen und eine graue Wolkendecke. Die Aufzeichnungen des Deutschen Wetterdienstes (DWD) belegen ein jährlich wiederkehrendes Tauwetter an den Weihnachtsfeiertagen. Wetterexperten sprechen von einer sogenannten Singularität. Ziemlich trübe Aussichten also. Statistiken sind frei von Emotionen und romantischen Erinnerungen. Und in den Wetteraufzeichnungen schlägt die Zahl nassgrauer Schmuddel-Weihnachten die deutlich seltenere Schnee-Idylle. Nur in höheren Mittelgebirgen oder am Alpenrand ist regelmäßig mit weißen Weihnachten zu rechnen. Der Rest darf sich lediglich alle fünf bis zehn Jahre über Schnee an den Feiertagen freuen.

Gab es früher öfter weiße Weihnachten als heute?

Auch diese Behauptung wird oft bemüht, wenn am 24. Dezember mal wieder weit und breit kein Schnee zu sehen ist. „Früher lag immer Schnee“ glauben Eltern und Großeltern sich dann an ihre Jugend zu erinnern. Natürlich steckt in dem Satz genauso viel Wahrheit wie in der Ankündigung „Dieses Jahr werde ich über Weihnachten nicht zunehmen“. Denn Erinnerungen an die eigene Kindheit sind viel zu häufig von subjektiven Wahrnehmungen geprägt. Da genügt es schon, wenn es in der Adventszeit einen Tag geschneit hat. Jahrzehnte später reicht diese verzerrte Erinnerung an Schnee vor weihnachtlich geschmückter Kulisse, und schon wird daraus eine weiße Weihnacht.

Regelmäßige weiße Weihnachten gab es im europäischen Flachland laut DWD zuletzt im 17. und 18. Jahrhundert im Zuge der sogenannten kleinen Eiszeit. Zu dieser Zeit hat sich allerdings noch niemand über kalte Temperaturen und Schnee gefreut. In den vergangenen 200 Jahren ist die Weihnachtszeit laut Meteorologen hingegen schon immer so schneearm gewesen wie heute auch.

Wenn weiße Weihnachten aber so selten sind, warum ist dann die Vorstellung davon so stark in unseren Köpfen verankert?

Schnee an Weihnachten – das steht für Frieden, Ruhe und Harmonie, die sich sanft und leise über die Feiertage legen. Und auch wenn wir die schneebedeckte Weihnachtswunderwelt nicht vor der eigenen Haustür erleben, bekommen wir das Bild doch jedes Jahr in Zeitschriften, Fernsehen und Internet vorgesetzt. Bevorzugt wird das idyllische Bild der weißen Weihnacht natürlich von der Werbung und Unterhaltungsindustrie instrumentalisiert. Mit Erfolg. Schließlich orientieren sich sowohl Werbung als auch Unterhaltung an den Interessen und Vorlieben ihrer Rezipienten (Leser, Hörer, Zuschauer). Und nicht umsonst ist die 1947 veröffentliche Originalversion des Weihnachtsklassikers „White Christmas“ mit über 50 Millionen verkauften Einheiten bis heute die meistverkaufte Single der Musikgeschichte.

Weiße WeihnachtenIn den Medien ist Weihnachten ohne Schnee gar nicht vorstellbar. Wie sähe das auch aus, wenn der Weihnachtsmann mit Schlitten und Rentieren plötzlich auf regennassen Dächern unter einer grauen Wolkendecke landen müsste. Für solch eine Kulisse würde sich wohl kaum ein Zuschauer begeistern lassen. In der Realität werden wir uns immer öfter mit der Illusion von weißen Weihnachten begnügen müssen. Schließlich wird der Klimawandel auch auf das kommerziellste aller christlichen Feste keine Rücksicht nehmen und über kurz oder lang dafür Sorge tragen, dass wir in Zukunft noch seltener weiße Weihnachten erleben werden.

Höchste Zeit also, sich nach alternativen Weihnachtsbräuchen umzuschauen. Dafür müssen wir das Fest nicht gleich neu erfinden, denn auf der Südhalbkugel unseres Planeten wird Weihnachten seit jeher im Sommer gefeiert. Fragen Sie doch mal die Australier! Dort steckt keiner den Kopf in den Sand, nur weil die Temperaturen draußen über die 30-Grad-Marke klettern. Ganz im Gegenteil: die Häuser werden trotzdem festlich mit Lichtern und Weihnachtsdeko geschmückt und statt mit dicken Winterhandschuhen einen Schneemann zu rollen wird kurzerhand in Badehose am Strand ein Sandmann gebaut. Auf diesem Weg haben die Australier dem Mythos einer weißen Weihnacht (=Sand statt Schnee) zugleich ihre ganze eigene Bedeutung zugewiesen.

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Quellen / Anmerkungen

Wunschdenken und Realität: TZ
Gab es früher öfter weiße Weihnachten als heute?: Kachelmannwetter
Warum weiße Weihnachten nur ein Traum sind: Welt.de/Gesundheit
Weihnachtstauwetter: Deutscher Wetterdienst